Das systematische Sich-klein-machen stoppen – Niederländisch ist keine kleine Sprache

 

Die Zukunft des Niederländisch-Studiums liegt in der Internationalisierung, so der Vorstand der Internationalen Vereinigung für Niederlandistik (IVN).

Ist das Einstellen des Studiengangs Niederländisch durch die Vrije Universiteit Amsterdam (VU) der Vorbote eines schlimmen Sturms? Diese bange Vermutung beschleicht einen, wenn man sich das vorläufige Gutachten der Van Rijn-Kommission ansieht. Diese von Minister Van Engelshoven eingesetzte Kommission soll Vorschläge für ein neues (budgetneutrales) Finanzierungsmodell für das Hochschulwesen erarbeiten. Die Kommission erstattet Ende April Bericht. Inzwischen sickerte via ScienceGuide durch, welche Denkweise die Kommission zu vertreten scheint: Leite innerhalb des Gesamtbudgets 150 Millionen Euro den technischen Universitäten zu und nimm dieses Geld vor allem den Geisteswissenschaften weg. Durch eine solche Verschiebung wird der Studiengang Niederländisch an der VU der erste in einer Reihe von Schließungen sein.

Die Niederlandistik hat es jetzt schon schwer. Nicht einmal 200 immatrikulierte Studienanfänger*innen in den gesamten Niederlanden, rückläufige Studierendenanzahlen an den Universitäten in Flandern und eine Universität, die die muttersprachliche Sprach- und Literaturwissenschaft schließt. Die Empörung ist groß, die Emotionen kochen hoch und die Erklärungen überstürzen sich. In der Schule ist das Fach Niederländisch langweilig und erweckt keine Liebe für Sprache und Literatur; die Schwerpunktsetzung auf Naturwissenschaften geht zu weit; es gibt einen sinkenden Trend im Interesse an Philologien im Allgemeinen usw.

Zweifellos spielen all diese Faktoren eine Rolle. Jedoch gibt es auch eine politische Begründung: Wir haben Niederländisch zu einer Sprache mit niedrigem Status gemacht, eine niedliche Sprache für daheim, die ungeeignet für ernsthafte Dinge ist oder um ernsthaft studiert zu werden. Werden wir diese Politik durch die Van Rijn-Kommission wieder ein Stück vorangetrieben sehen?

 

Niederländisch ist Weltsprache

Die Internationale Vereinigung für Niederlandistik ist der Ansicht, dass es anders laufen muss. Wer anhand des Kassenbuches die Bedeutung misst, wer der eigenen Sprache keinen Stellenwert im internationalen Kontext gönnt, der benachteiligt sich selbst schwer. Der erste Schritt ist deshalb auch, das Abstreifen der Ich-bin-zu-klein-Mentalität. Denn Niederländisch ist überhaupt keine kleine Sprache. Gemessen an den Muttersprachlern rangiert Niederländisch um Platz 50 – der nach Schätzungen 6000 existierenden Sprachen. Außerdem studieren weltweit noch einmal rund 14.000 Studierende Niederländisch, an mehr als 200 Universitäten in 45 Ländern. Niederländisch ist demnach eine Weltsprache mit einem weltweiten (Bildungs)Netzwerk.

Außerdem wird es Zeit, dass wir dem Niederländischen den Status zuerkennen, auf den es ein Recht hat: als selbstbewusste Sprache in einem internationalen Kontext. Als Vorstand der Internationalen Vereinigung für Niederlandistik plädieren wir für eine radikale Internationalisierungsoffensive: ein internationales Curriculum, ein Aufenthalt im Ausland für alle Niederländischstudierenden und die Kombination von Niederländisch mit anderen Fächern innerhalb eines breiten Liberal Arts-Curriculums. Man stelle die niederländische Sprache und Literatur vor den Hintergrund internationaler Forschungstraditionen; untersuche die Dynamik des Niederländischen und anderer Sprachen und Kulturen; mache Gebrauch vom globalen Bildungs- und Forschungsnetzwerks, über das Flandern und die Niederlande verfügen.

 

Selbstbewusste Spezialisten

Dazu gehört auch, dass die niederländische und flämische Regierung erkennen, dass die Niederlandistik außerhalb der Sprachgrenzen Teil des Niederländischen als internationale Sprache ist. Durch intensive Zusammenarbeit können unsere angehenden Niederlandist*innen zu selbstbewussten, globalen Spezialisten werden, die sowohl einem weltweiten Netzwerk angehören als auch in ihm agieren. So packen wir das Kleinmachen, das der Niederlandistik traditionell aufgedrängt wird, an der Wurzel: Die Dozierenden der Zukunft haben Erfahrung mit Niederländisch im internationalen Kontext.

Es ist höchste Zeit, dass auch wir in die Niederlandistik investieren. Im Studienjahr 2017-2018 wurden in den Niederlanden etwa 200 Studienplätze für Studienanfänger*innen finanziert. Der Betrag, der dafür aufgewendet wurde, steht in keinem Verhältnis zu den Mitteln, die beispielsweise Deutschland für die wissenschaftliche Bildung in der Muttersprache aufbringt. In diesem Jahr studieren insgesamt rund 70.000 (!) Studierende Germanistik. Die Zahlen für die internationale Niederlandistik zeigen ein ähnliches Bild. Die Taalunie darf etwa 10 Millionen Euro für Sprach-Infrastruktur und Sprach-Aktivitäten verwenden. Der Haushalt Österreichs (ein kleineres Land) beträgt in diesem Bereich 31 Millionen Euro.

Gescheiterte Studiengänge und extrem niedrige Studierendenzahlen – dass etwas passieren muss, darüber sind sich alle Beteiligten einig. Die IVN hält strukturelle Investitionen in die Internationalisierung der Niederlandistik für ein adäquates Mittel, um junge Menschen für ein Studium der Niederlandistik zu gewinnen. Diese Menschen sind dringend notwendig, schon allein um die Zukunft des Schulfachs Niederländisch zu garantieren. Oder ist die Regierung schon so weit, die Ausbildung von Niederländischlehrer*innen auszugliedern, und kommen Lehrer für das Schulfach Niederländisch zukünftig aus Barcelona, Köln und London?

 

VORSTAND DER INTERNATIONALE VEREINIGUNG FÜR NIEDERLANDISTIK
(Lars Bernaerts, Iris van Erve, Jan Konst, Henriette Louwerse, Jelica Novakovic, Els Stronks, Johan Vanparys)

Veröffentlicht am 29. März 2019 in NRC Handelsblad
Aus dem Niederländischen übersetzt von Jan Remmers